Ist ein Absenken der Grenzwerte für eine Blutdruckbehandlung sinnvoll und sterben weniger Personen an Herzerkrankungen, wenn der Arzt früher mit der Behandlung beginnt? Diese Frage stellten sich Münchner Forscher.
Unterschiede bei amerikanischen und deutschen Grenzwerten
Wissenschaftler um Karl-Heinz Ladwig von der Technischen Universität München und dem Helmholtz Zentrum München überprüften, ob weniger Menschen an Herzerkrankungen sterben, wenn die Schwelle für eine Blutdruckbehandlung niedriger angesetzt wird. Anlass der Studie ist eine neu erlassene Richtlinie in den USA für Bluthochdruck. Laut amerikanischen Vorgaben beginnt eine Behandlung, wenn im so genannten Bluthochdruckstadium 1 Werte zwischen 130-139 mmHg/80-89 mmHg gemessen werden. Im Gegensatz dazu sieht die Europäische Gesellschaft für Kardiologie bei diesen Werten noch einen erhöhten normalen Blutdruck ohne Behandlungsbedarf.
Die Münchner Forscher werteten die Daten von rund 12.000 Patienten in Deutschland aus. „Wir haben untersucht, wie hoch innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren das Risiko für Menschen in den verschiedenen Blutdruckkategorien war, an einer Herz-Kreislauferkrankung zu sterben und welche anderen Risikofaktoren jeweils vorlagen“, erläutert Seryan Atasoy, Epidemiologin und Erstautorin der Studie.
Niedrigere Grenzen schlecht für Psyche
Personen mit Werten aus dem Stadium 1 starben nicht häufiger an Herz-Kreislauferkrankungen als Menschen mit normalem Blutdruck. Zusätzlich brachte die Daten der behandelten Patienten mit gefährlichem Bluthochdruck zwei Erkenntnisse: Die Motivation, aufgrund einer Diagnose den Lebensstil umzustellen, ist sehr gering, da Rauchen und Bewegungsmangel in dieser Gruppe besonders ausgeprägt sind. Außerdem scheint sich eine Behandlung eher negativ auf die Psyche auszuwirken: Jeder Zweite in dieser Gruppe leidet unter depressive Verstimmungen, verglichen mit jedem Dritten Nicht-Behandelten.
„Wird man offiziell mit dem Etikett ‚krank‘ versehen, wirkt sich das auf die psychische Gesundheit aus“, führt Ladwig aus. Das Herabsetzen der Behandlungsgrenze in den USA hat zur Folge, dass der Anteil an behandelten Bluthochdruckpatienten von 32 Prozent auf 46 Prozent steigen wird. Ladwig erläutert: „14 Prozent werden also zusätzlich psychischem Druck ausgeliefert, ohne dass für sie eine signifikant höhere Gefahr bestehen würde, eine tödliche Herz-Kreislauferkrankung zu entwickeln und ohne, dass eine Motivationswirkung […] zu erwarten wäre.“ Eine Übernahme der US-Leitlinien für Europa wäre daher aus Ladwigs Sicht nicht zu empfehlen.
Quelle: Ärzteblatt